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Baronner, Heinrich, * 20. Juni 1909 Petersdorf, † 28. April 1972 Aichach, Klarinettist und Kapellmeister

1   Familiäre Herkunft und Berufsausbildung

Abb. 1 – Familie Baronner
Quelle: Stadtarchiv Aichach

Heinrich Baronner kam am 20. Juni 1909 in Willprechtszell (heute Gde. Petersdorf, Lkr. Aichach-Friedberg) als Sohn des dortigen Lehrers Alois Baronner (1876–1938) und seiner Frau Anna, geb. Markt (1880–1960) zur Welt. Die Mutter stammte aus Günzburg, der Vater aus Tannenberg (Gde. Burggen, Lkr. Weilheim-Schongau). Nachdem Alois Baronner das Schullehrerseminar in Lauingen absolviert und bereits in fünf oberbayerischen Orten als Aushilfslehrer bzw. Schulgehilfe unterrichtet hatte, kam er 1903 als Schulverweser nach Aindling (Lkr. Aichach-Friedberg) und damit in das Gebiet des Bezirksamts Aichach. 1904 erhielt Alois Baronner in Willprechtszell seine erste Anstellung als Schullehrer. 1910 wechselte er nach Tödtenried (Gde. Sielenbach, Lkr. Aichach-Friedberg), bevor er 1929 Hauptlehrer in Obergriesbach (Lkr. Aichach-Friedberg) wurde. Die dienstlichen Beurteilungen heben Baronners musikalisches Wirken, besonders im Bereich des Volksgesangs, positiv hervor.

Heinrich Baronner hatte an der Handelsschule in Augsburg eine kaufmännische Ausbildung absolviert, verdiente aber sein Geld zunächst hauptsächlich als selbstständiger Fotograf. Von 1938 bis 1943 war er Gemeindeschreiber und zeitweilig Organist in Obergriesbach. 1939 erhielt er beim Finanzamt Aichach seine erste feste Anstellung, die er bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht im April 1945 innehatte. Da er von 1937 bis Kriegsende Mitglied der NSDAP gewesen war, durfte er zunächst nicht wieder im Finanzamt arbeiten. Doch auch nach Abschluss seines Spruchkammerverfahrens 1947, in dem er als Mitläufer eingestuft wurde, zog er es vor, seinen Lebensunterhalt durch Musik und Fotografie zu verdienen. Erst 1953 begann er wieder als Verwaltungsangestellter an der Finanzkasse zu arbeiten. Zeitweise versah er daneben in Walchshofen (Stadt Aichach) das Amt des Organisten.

Abb. 2 – Heinrich Baronner
Quelle: Stadtarchiv Aichach

Mit seiner Anstellung 1939 beim Finanzamt war Heini Baronner zusammen mit seiner Mutter von Obergriesbach nach Aichach umgezogen. Von 1970 an wohnte er in Walchshofen. Am 28. April 1972 verunglückte Heini Baronner im Alter von 62 Jahren bei einem Verkehrsunfall ohne Fremdverschulden in der Aichacher Bahnhofsstraße tödlich.

2   Musikalische Ausbildung und Tanzmusik

Schon früh begeisterte sich Heini Baronner für die Musik. Neben den verschiedenen Blas- und Zupfinstrumenten, deren Spiel er sich im Laufe seiner Jugend aneignete, genoss er Klavierunterricht und erhielt am Konservatorium in Augsburg Orgelunterricht. Seine große Leidenschaft galt jedoch der Tanzmusik. In wechselnden Besetzungen spielte Baronner bei Hochzeiten, Bällen und anderen Veranstaltungen zum Tanz.

Abb. 3 – Anzeige Stieglbräu
Quelle: Stadtarchiv Aichach

Während in Aichach selbst überwiegend moderne Schlager gefragt waren, wurden in den umliegenden Dörfern z. T. bis in die 1970er Jahre hinein noch die alten Tänze, insbesondere einige Zwiefache und die schnellen Schottisch und Dreher, gewünscht. Doch bereits seit den 1950er Jahren schien der musikalische Stern des Heini Baronner mit dem sich verändernden Musikgeschmack ins Wanken zu geraten. Im Bereich der modernen Tanzmusik konnte er sich kaum noch gegen die modernen Bands behaupten. Mehr und mehr galt sein Stil als antiquiert. Der ohnehin schrullige Baronner Heini wurde müde belächelt.

3   Volksmusik und -pflege

Ich hatte sehr schwer zu kämpfen, schrieb Baronner 1967 an Kurt Becher, den damaligen Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. Gegen die Macht der Masse konnte ich nichts mehr ausrichten. Der Kapellmeister Baronner sah sich gezwungen, den Wünschen der Veranstalter in gewisser Weise nachzugeben. Das Festhalten an der traditionellen Musik hatte ohnehin schon dazu geführt, dass einige Musikanten, die auf die Einkünfte aus der Musik angewiesen waren, zu anderen Kapellen gewechselt hatten. Wenn ich außer dem bayerischen Programm noch böhmische bezw. tschechische Polkas und Walzer und etliche Schlager, welche gerade noch in den Rahmen passen mögen, hineinmische, dann können wir uns gerade noch auf dem Wasser halten. Hätte ich mich nicht, wie erwähnt umgestellt, dann hätte sich die Kapelle von selbst aufgelöst. Die Folge wäre, daß ich heute für spezielle Zwecke auch keine bayerische Volksmusik mehr machen könnte. Seine Hoffnung richtete Heini Baronner auf die Volksmusikpflege, wobei ihn besonders die Aktivitäten des Georg von Kaufmann (1907–1972) beeindruckten.

Das Interesse an der bewussten Pflege der Volksmusik war bei Heini Baronner schon in den 1930er Jahren erwacht. 1935 und 1936 besuchte er den Kiem Pauli (1882–1960) in Kreuth und schrieb dort mehrere alte Notenbücher mit Ländlermelodien ab. Von ihm wurde Baronner bei späteren Besuchen stark beeinflusst und immer wieder ermuntert, an seinen Zielen festzuhalten. Daneben sammelte er auch alte Notenhefte und stand v. a. mit seinem Aichacher Musikerkollegen Xaver Neumaier (1909–1956) in enger Verbindung, der eine große Sammlung handgeschriebener Volksmusiknoten besaß. Auch von Ludwig Auer (Aichach) und Toni Steurer (Schiltberg) hatte er wertvolle musikalische Anregungen erhalten. Die ersten Notenhefte mit traditionellem Spielgut der Aichacher Gegend legte Heinrich Baronner dagegen wohl erst in den späten 1940er Jahren an.

4   Musikalischer Erfolg

Mitten in den 1960er Jahren, als Baronner meinte, sich mit seiner traditionellen Kapelle nicht mehr halten zu können und vom Geschmack seiner Zeit weggespült zu werden, hatte er endlich Erfolg. Während in den Dörfern des nordwestlichen Oberbayern die moderne Tanzmusik die Tanzböden eroberte, entdeckte die institutionalisierte Volksmusikpflege eben jene Gegend, in der die alten Tänze doch noch zu einem guten Teil lebendig bzw. noch bekannt waren. Hinzu kam die Originalität der Musik, deren wichtigster Interpret die Kapelle Baronner mit ihrer relativ großen Besetzung (Es-Klarinette, zwei B-Klarinetten, zwei Trompeten, Tenorhorn, drei Blech-Begleiter und Bass) war. Die Kapelle Baronner trug schließlich nicht unbedeutenden Anteil daran, dass das Aichacher Land in den Fokus der Volkstanz- und Volksmusikpflege geriet.

Es war das Jahr 1966, das über Nacht die Wende brachte. Im Januar 1966 nahm Heini Baronner mit seiner Kapelle an einem Sänger- und Musikantentreffen in Kleinberghofen (Gde. Erdweg, Lkr. Dachau) teil, das von Otto Killi vorbereitet und von der Volksmusikabteilung des Bayerischen Rundfunks veranstaltet und aufgezeichnet wude. Dabei beeindruckten Baronner und seine Musikanten nicht nur das anwesende Publikum, sondern auch den Moderator der Veranstaltung, Bezirksheimatpfleger Paul Ernst Rattelmüller (1924-2004), der von nun an zu den Förderern der Aichacher Kapelle gehörte.

Im Frühjahr 1966 folgte die Kapelle Baronner – vermutlich auf Empfehlung des Aichacher Musikpädagogen Prof. Toni Grad (1903–1988) – einer Einladung der Brauerei Guinness nach Irland. In Kilkenny, wo sie ein Bierfestival musikalisch umrahmten, wurden die Aichacher Musikanten frenetisch gefeiert.

5   Die Aichacher Bauernmusi

Noch im November selben Jahres nahm die Kapelle Baronner am Oberbayerischen Musikanten-Wettstreit in Rosenheim teil. Veranstaltet wurde der Contest vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege und dem Bayerischen Rundfunk (Abteilung Volksmusik). Hier nannte sich die Kapelle Baronner zum ersten Mal Aichacher Bauernmusi. Der Name gab deutlich Hinweis auf Repertoire und Spielumfeld und wies zudem auf die regionale Herkunft der Kapelle hin. Die jahrhundertelang despektierlich gebrauchte Bezeichnung Bauernmusik war zu einem Gütesiegel volksmusikalischer Echtheit geworden. Diese Echtheit, die die Aichacher Bauernmusi auch musikalisch ausstrahlte, war wohl mit ein Grund dafür, dass die als Außenseiter angetretenen Aichacher in Rosenheim den dritten Preis errangen.

Abb. 4 – Aichacher Bauernmusi
Quelle: Stadtarchiv Aichach

Nach der Übertragung des Wettstreits im Rundfunk wurde die Kapelle von den Hörern sogar auf Rang zwei gevotet. In Folge dieses Ergebnisses und auf Wunsch zahlreicher Hörer, die mehr von Blaskapellen gespielte Volksmusik im Radio hören wollten, nahm der Bayerische Rundfunk in den folgenden fünf Jahren 45 Titel mit der Aichacher Bauernmusi auf. Als erste Kapelle in Blasmusikbesetzung nahm sie einen festen Platz im Programm der Volksmusikabteilung des Bayerischen Rundfunks ein und avancierte dadurch zum Vorbild für viele andere Gruppen ähnlicher Zusammensetzung.

Von nun an war die Aichacher Bauernmusi eine der bekanntesten Volksmusikgruppen Südbayerns. Viele Veranstalter von Volkstänzen engagierten die Kapelle. Auf Grund der relativen Nähe zu München waren die Aichacher auch in der Landeshauptstadt eine oft gehörte Gruppe. Mit dem Nimbus der Originalität eines kulturellen Rückzugsgebiets standen die Aichacher dort in der Tradition der ebenfalls aus dem Nordwesten kommenden und bis in die Zwischenkriegszeit populären Dachauer. Besonders begeisterte die rassige Spielweise und das ungewohnt flotte Tempo der Aichacher Bauernmusi. Hier machte sich der fränkische Einfluss geltend, der sich über Rain am Lech und Neuburg an der Donau bis knapp über Aichach hinaus nach Süden erstreckt. Neben einigen typischen Zwiefachen waren es v. a. die schnellen Dreischritt-Dreher und die im Marschtempo gespielten Schottisch, die das Publikum mitrissen. Ein großer Erfolg gelang der Aichacher Bauernmusi schließlich 1971 beim UNESCO-Volksmusiktag in Hindelang.

6   Baronner als Volksmusikhistoriker

Abb. 5 – Titelbild „Aichacher Tänze“
Quelle: Stadtarchiv Aichach

Die Begeisterung beschränkte sich jedoch nicht nur darauf, die Aichacher Bauernmusi als Kapelle zu Volkstanzveranstaltungen einzuladen. 1969 kamen Wolfgang Mayer und Kurt Becher nach Oberbernbach bei Aichach, um die in der Gegend um Aichach noch geläufigen Volkstänze aufzuzeichnen. Wiederum war es Heini Baronner, der die Musik dazu lieferte. Er war es auch, der dafür sorgte, dass zehn erfahrene, alte Tanzpaare anwesend waren, die die Tänze vorführen konnten. Aus diesen Forschungen heraus entstand schließlich als beispielhafte Dokumentation das Heft Aichacher Tänze.

Aufgrund seiner Sachkenntnis bat Kurt Becher als Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege Heini Baronner, einen Aufsatz über die Volksmusik im Aichacher Land zu schreiben. In dem Beitrag Die Volksmusik im nordwestlichen Oberbayern (erschienen 1970 in der Schöneren Heimat) beschrieb er das Tanzbodenbrauchtum, das er noch kennen gelernt hatte und benannte die Tänze, die zu seiner Zeit auf den Tanzböden der Region lebendig waren.

V. a. durch die Vermittlung von Prof. Toni Grad, der damals das Aichacher Heimatmuseum leitete, wurde auch Volksmusikforscher Prof. Felix Hoerburger (1916–1997) auf Heini Baronner und seine Kapelle aufmerksam. Im April 1967 nahm Hoerburger mit dem Ensemble Baronner 16 Titel auf. Die Besetzung setzte sich aus Blasinstrumenten in C bzw. F und Streichern für den Nachschlag zusammen. Solche Kapellen hatten im Aichacher Umland bis in die 1920er Jahre bestanden. Aus musikhistorischer Experimentierfreude versuchte Baronner, den Klang damaliger Kapellen nachzuahmen. Im Rahmen dieses Aichach-Besuchs lichtete Hoerburger auch die Notensammlung des Heini Baronner ab.

7   Bedeutung

In der Rückschau auf sein Leben wird die Bedeutung des Heini Baronner für die bayerische Volksmusik einerseits, das Aichacher Land andererseits deutlich. Er hatte frühzeitig die Originalität und Qualität der traditionellen Musik der Gegend um Aichach erkannt und alles darangesetzt, sie vor dem Vergessen zu bewahren. Er sammelte die Musik, schrieb sie auf, arrangierte sie, spielte sie mit seinen Musikanten auf sehr hohem Niveau und hielt an der von ihm so geliebten Art der Musik auch noch konsequent fest, als die Tänzer nach modernen Tanzschlagern verlangten. Mit seinem Engagement erzwang er schließlich das Glück, von der institutionalisierten Volksmusikpflege entdeckt und gefördert zu werden. Dass seine Musik auch bei den Hörern des Bayerischen Rundfunks sofort begeistert aufgenommen wurde, verdeutlicht nicht nur den bis dato in Südbayern bestehenden Mangel an Aufnahmen von Blaskapellen im Bereich der Volksmusik, sondern spricht auch für die Qualität der Aichacher Bauernmusi. Die Baronnersche Musik war eben nicht nur musikalisches Relikt einer besonderen Gegend, seine Arrangements mit konsequent ausgearbeiteter Tenorhorn-Nebenmelodie korrespondierten zudem mit der musikalischen Entwicklung der Zeit. Durch die vielen Rundfunkaufnahmen mit der Aichacher Bauernmusi prägte Heini Baronner auch die Besetzungen, Arrangements und den Stil der in der Folgezeit verstärkt auftretenden, Volksmusik spielenden Blaskapellen.

8   Literatur und Quellen

Baronner, Heinrich: Die Volksmusik im nordwestlichen Oberbayern. In: Schönere Heimat 59 (1970), S. 555-557.
Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. (Hg.): Aichacher Tänze. Aufgezeichnet von Wolfgang Mayer und Kurt Becher, für den Druck bearbeitet von Dagmar Held, München 1992.
Christl, Karl: Heini Baronner, ein Vollblutmusiker und Aichacher Original. In: Aichacher Heimatblatt 53 (2005), S. 25-26.
Lang, Christoph: Heini Baronner und die Volksmusik im Aichacher Land. Zum 100sten Geburtstag eines Originals. In: Volksmusik in Bayern 26 (2009), S. 49-51.
Lechner, Horst: „Es lebe die Volksmusik“. Heinrich Baronner zum 100. Geburtstag. In: Altbayern in Schwaben 2009, 135–149.
Mayer, Wolfgang: „Wildsau“ (’Wild Boar’). A „Zwiefacher“ played by the ensemble of Heinrich Baronner and recorded by Felix Hoerburger in Aichach/Upper Bavaria, 1967. In: Simon, Artur / Weger, Ulrich (Hgg.): Music! 100 Recordings. 100 Years of the Berlin Phonogramm-Archiv, Mainz 2000 [CD-Booklet]. S. 183–185.
Bayerischer Landesverein für Heimatpflege: Korrespondenz Kurt Becher.
Staatsarchiv München: LRA 70.005; LRA 102.725; SpkA K 4448.
Universitätsbibliothek Regensburg, Hoerburger-Archiv: vorl. Nr. 25; vorl. Nr. 57.
Institut für Volkskunde der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (München): Hoerburger, Sammlung von Tanzmelodien, Obb A 3734-5203.