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Cochlaeus, Johannes, * 1497 Raubersried (Pfarrei Wendelstein), † 10./11. Januar 1552 Breslau, Theologe, Humanist, Musiktheoretiker

1   Biographie

1.1   Ausbildung

Nach ersten Studien bei Heinrich Grieninger in Nürnberg war Cochlaeus ab 1504 an der Kölner Universität eingeschrieben (Eintrag in der Kölner Matrikel 26.4.1504), wo er der Montanerburse angehörte. Er studierte bei Theodericus de Busco, Andreas de Bardwijck und Rutger de Venlo und determinierte bei Theodericus de Noviomago (Bakkalaureat 1505, Magister artium 1507); nach dem Magisterium unterrichtete er, u.a. war Heinrich Glarean sein Schüler.

1.2   Lehrer in Nürnberg

Aus Köln wurde Cochlaeus über den Propst von St. Lorenz, Anton Kreß, der in Zusammenwirken mit Willibald Pirckheimer auch nach dem Scheitern des Projekts der 1496 gegründeten Poetenschule unter Heinrich Grieninger weiter an der Errichtung einer humanistisch ausgerichteten Schule interessiert war, nach Nürnberg vermittelt; die einschlägige Korrespondenz ist teilweise erhalten (Niemöller 1969).

1510 trat Cochlaeus die Stelle als Rektor der Schule an St. Lorenz an. Hier entstanden Schriften, die als Grundlage seines humanistischen pädagogischen Konzepts dienten: Quadrivium grammatices und Tetrachordum musices (beide Nürnberg 1511) und Ausgaben der Cosmographia Pomponii Melae und Meteorologia Aristotelis sowie die Brevis Germaniae descriptio (alle Nürnberg 1512). Im Frühjahr 1515 brach Cochlaeus als Begleiter der Neffen Willibald Pirckheimers nach Italien auf; sie erreichten zunächst Bologna, wo Cochlaeus der Disputatio von Johannes Eck über die Erlaubtheit eines fünfprozentigen Zinses beiwohnte. In Bologna betrieb Cochlaeus juristische und theologische Studien, wurde am 28.3.1517 in Ferrara zum Doktor der Theologie promoviert und blieb bis zum Herbst dieses Jahres in Bologna. Dann reiste die Gruppe über Florenz und Viterbo weiter nach Rom, wo Cochlaeus sich mit dem Hebräischen und historischen Themen beschäftigte und 1518 die Priesterweihe erhielt.

1.3   Cochlaeus als Theologe

Bei seiner Rückkehr nach Deutschland hielt er sich nur kurz in Nürnberg auf, bevor er Anfang 1520 als Dekan des Liebfrauenstifts in Frankfurt empfangen wurde; hier edierte er die Werke des Maxentius. Seit 1519 setzte sich Cochlaeus, vor allem als Reaktion auf die Schrift Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, verstärkt mit Martin Luthers reformatorischem Gedankengut auseinander und wurde (nach anfänglichen Sympathien für Luthers Kritik an den theologischen Fakultäten in Köln und Löwen) zu seinem überzeugten Gegner. Cochlaeus nahm am Wormser Reichstag im April 1521 teil; obwohl er dort vermittelnd auf Luther einzuwirken versuchte, scheiterte eine Verständigung und Cochlaeus verfasste nach seiner Rückkehr nach Frankfurt seine ersten Schriften gegen Luther. Im Herbst 1523 wurde er erneut nach Rom eingeladen, traf dort jedoch erst nach dem Tod Papst Hadrians VI. an, der ein Reformprogramm für Deutschland hatte vorbereiten wollen, und widmete dessen Nachfolger Clemens VII. seine Schrift De auctoritate ecclesiae (1524). Im Frühjahr 1524 kehrte Cochlaeus nach Deutschland zurück, nahm am Nürnberger Reichstag teil und überwachte im Frühsommer die Drucklegung von einigen eigenen Schriften in Stuttgart. Im Juni 1524 war er am Regensburger Reformkonvent beteiligt, der ein erstes antilutherisches Bündnis in Deutschland begründete. Im April 1525 musste er Frankfurt auf Druck reformatorisch gesinnter Kräfte verlassen und wandte sich nach Köln, wo er sich ein gutes Jahr aufhielt. 1527 berief ihn Herzog Georg von Sachsen als Hofkaplan nach Dresden, wo er im Januar 1528 sein Amt antrat, als Nachfolger seines Freundes Hieronymus Emser. Von Dresden aus unterhielt Cochlaeus eine rege Korrespondenz und verfasste hier bis Dezember 1528 die Sieben Köpffe Martini Luthers. Er nahm am Augsburger Reichstag 1530 (hier als einer der katholischen Theologen, die eine Kirchenspaltung zu verhindern suchten) wie auch am Regensburger Reichstag 1532 teil. In dieser Zeit war er besonders als Autor tätig. 1535 folgte die Übersiedlung nach Meißen, nachdem er dort ein Domkanonikat erhalten hatte. Durch den Tod Herzog Georgs 1539, dem sein protestantischer Bruder Heinrich nachfolgte, wurde Cochlaeus’ Position in Meißen kritisch, so dass er im selben Jahr einen Ruf des Breslauer Domkapitels annahm, wo er bis 1543 blieb. Er brach auf, um am Trienter Konzil teilzunehmen, erfuhr jedoch in Kempten von dessen Verschiebung und blieb als Kanoniker in Eichstätt bei Bischof Moritz von Hutten, der sich beim Konzil zunächst durch Cochlaeus als Prokurator vertreten lassen sollte. Im Dezember 1545 schließlich sandte er Cochlaeus stattdessen zum Religionsgespräch nach Regensburg. Cochlaeus brach in der Folge nicht mehr zum Konzil auf und kehrte 1549 nach Breslau zurück. Hier starb er nach ruhigen letzten Lebensjahren in der Nacht vom 10. auf den 11. Januar 1552. In seinen letzten Jahren wurde seine Gegnerschaft zu Luther immer heftiger; besonders einflussreich blieb seine Lutherbiographie Commentaria de actis et scriptis Martini Lutheri (Mainz 1549).

2   Cochlaeus’ Schriften zur Musik

In Cochlaeus’ umfangreichem Werk befassen sich nur vier Lehrschriften mit der Musik, die zudem voneinander abhängig sind. Das Tetrachordum musices (1511) ist die wohl einflussreichste davon; es ist Willibald Pirckheimer (von dem zugleich eines der Widmungsgedichte stammt) gewidmet und stellt eine Überarbeitung von Cochlaeus’ bereits in Köln entstandener Musica (Köln 1507, mit zwei kleinen Nebenschriften zu Choral- und Figuralgesang, noch unter dem Geburtsnamen Johannes Wendelstein veröffentlicht) dar, von der weiterhin zwei ältere anonym gedruckte Fassungen existieren. Das Tetrachordum ist didaktisch auf die Erfordernisse des Schulunterrichts eingestellt und gibt in vier Büchern eine Einführung in die Grundlagen der Musik, den Gregorianischen Gesang, die acht Kirchentöne und die Mensuralmusik. Zu Cochlaeus’ Vorbildern zählen u.a. Franchino Gaffurio (Practica musicae, Mailand 1496), Michael Keinspeck (Lilium musicae planae, Basel 1496) und Nicolaus Wollick/Melchior Schanppecher (Opus aureum, Köln 1501); seine Musica gewinnt ihre Bedeutung vor allem aus der Aufbereitung und verständlichen Vermittlung des Stoffes.

2.1   Musik an der Nürnberger Schule

Das Tetrachordum ist ein Dokument für die Bedeutung der Musikpflege in den Lateinschulen, die gerade in Deutschland eine eigene Tradition des Schrifttums hervorbrachten. Es vermittelt zunächst die im Hinblick auf die Heranziehung der Schüler zur Kirchenmusik notwendigen Kenntnisse, die sie zur Ausführung von Choral- und Figuralgesang benötigten. Die Nürnberger Schulen legten in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts großes Gewicht auf die Musik, wie auch an der mit Cochlaeus beginnenden Reihe von 15 in Nürnberg erschienenen Veröffentlichungen zur Musiklehre (lat. und dt.) sichtbar wird, darunter sieben Neuauflagen des Tetrachordum bis 1526. Auch Sebald Heyden, der noch Schüler Cochlaeus’ an der Lorenzschule war, setzte mit Musicae [stoicheiosis] 1532 die Reihe fort. Die am Ende des Tetrachordum abgedruckten vier homophonen Odensätze belegen zudem das spezifisch humanistische Interesse seiner Schule in der Auseinandersetzung mit der antiken quantitierenden Metrik und ihrer Übertragung in mehrstimmige Sätze (ein anderes Beispiel war in Nürnberg 1509 von Johannes Romming, Rektor der Schule an St. Sebald, als Satz für Konrad Celtis’ Ode auf den Stadtpatron St. Sebald veröffentlicht worden).

2.2   Cochlaeus und das Musikleben in Nürnberg

Vereinzelt geht Cochlaeus anderweitig auf Aspekte des Nürnberger Musiklebens ein; so erwähnt er in der Brevis Germaniae descriptio einen musikalischen Wettstreit der Nürnberger Lateinschulen am Katharinentag (Kap. 35) und den Trompetenmacher Hans Neuschel, dessen Instrumente weithin berühmt seien (Kap. 34). Die Beziehungen Cochlaeus’ zu W. Pirckheimer erstreckten sich auch auf die Musikpraxis: 1517 sandte Cochlaeus ihm acht italienische Tanzbeschreibungen, die er möglicherweise bei seinem Italienaufenthalt 1517 von Studenten in Bologna erhalten hatte.

3   Werke zur Musik

Anonym [Cochlaeus, Johannes]: Musica. O.O. o.J. (A-Wn 395.968 B, vgl. Mantuani 1902).
Anonym [Cochlaeus, Johannes]: Musica. O.O. o.J. (D-LEu, vgl. Riemann 1897/1898, u. D-Mbs).
Wendelstein, Johannes: Musica. Köln 1507.
Wendelstein, Johannes: Cantus choralis exercitium. O.O. o.J., vermutlich wie Musica 1507.
Wendelstein, Johannes: Compendium in praxim atque exercitium cantus figurabilis accommodatissimum. O.O. o.J., verm. wie Musica 1507.
Cochlaeus, Johannes: Tetrachordum musices. Nürnberg 1511 und später.
Cochlaeus, Johannes. Tetrachordum musices. Hildesheim u.a. 1971 (reprograf. Nachdruck d. Ausgabe Nürnberg 1512).

4   Werke zur Musik – Textedition online

http://www.music.indiana.edu/tml/16th/COCTET1_TEXT.html
http://www.music.indiana.edu/tml/16th/COCTET2_TEXT.html
http://www.music.indiana.edu/tml/16th/COCTET3_TEXT.html
http://www.music.indiana.edu/tml/16th/COCTET4_TEXT.html

5   Literatur

ADB 4, S. 381-384.
Bäumer, Remigius: Cochläus, Johannes. In: Theologische Realenzyklopädie 8, 1981, 140-146.
Bäumer, Remigius: Johannes Cochlaeus (1479-1552). Leben und Wirken im Dienst der katholischen Reform (Kath. Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 40). Münster 1980.
Groote, Inga Mai: Ein humanistisches Netzwerk. Die Musiktheoretiker der Kölner Schule in ihrem intellektuellen Umfeld. In: Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte (Tagungsbericht Das Erzbistum Köln in der Musikgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts, Köln 23.-25.9.2005), Druck in Vorbereitung.
Judd, Cristle Collins: Reading Renaissance Music Theory. Hearing with the Eyes. (Cambridge Studies in Music Theory and Analysis 14), 2000, 84ff.
Mantuani, Josef: Ein unbekanntes Druckwerk. In: Mitteilungen des österreichischen Vereins für Bibliothekswesen 6, 1902, 7-19.
Miller, Clement A. (Hg.): Johannes Cochlaeus, Tetrachordum musices. Introduction, Translation and Transcription (Musicological Studies and Documents 23). O.O. 1970.
NDB 2, S. 7.
Niemöller, Klaus Wolfgang: Untersuchungen zu Musikpflege und Musikunterricht an den deutschen Lateinschulen vom ausgehenden Mittelalter bis um 1600 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 54). Regensburg 1969.
Riemann, Hugo: Anonymi Introductorium Musicae (ca. 1500), in: MfM 29, 1897, und 30, 1898.
Sachs, Klaus-Jürgen: Cochlaeus, Johannes. In: MGG2 4, 2000, 1297-1300.
Sachs, Klaus-Jürgen: Untersuchungen zur "Musica" des Johannes Cochlaeus, in Vorbereitung.
Schrade, Leo: Johannes Cochlaeus, Musiktheoretiker in Köln. In: Kahl, Willi, Lemacher, Heinrich et al. (Hgg.): Festchrift zum 80. Geburtstag von Ludwig Schiedermair. Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 20, Köln 1956, 124-132.
Tewes, Götz-Rüdiger: Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Köln et al. 1993.
Zaminer, Frieder (Hg.): Geschichte der Musiktheorie. Bd. 8/I: Deutsche Musiktheorie des 15. bis 17. Jahrhunderts. Von Paumann bis Calvisius, Darmstadt 2003.