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Gentner, Alois, * 3. Januar 1825 Wallerstein, † 23. Oktober 1900 Dillingen a. d. Donau, Instrumentenbauer, Musikalienhändler, Musikpädagoge

1   Herkunftsfamilie und Biographie bis zur Selbständigkeit

Alois Gentner wurde am 3. Januar 1825 in Wallerstein geboren. Seine familiäre Herkunft ist nicht zweifelsfrei geklärt: Eine Generation vorher war aus der Familie Gentner ein Militärmusiker hervorgegangen, der denselben Namen trug. Dieser 1796 in Markt Offingen in der schwäbischen Herrschaft Wallerstein geborene katholische Schullehrersohn diente ab 1823 als Hornist in der Garnisons-Kompagnie Nymphenburg (damals noch vor der bayerischen Haupt- und Residenzstadt München gelegen) und ertrank 1843 unter ungeklärten Umständen bei Seefeld im Pilsensee. Der verheiratete Musiker hinterließ seiner Witwe ein versorgtes und drei unversorgte Kinder (München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV Kriegsarchiv, UP 6144), die namentlich jedoch nicht genannt sind, unter denen sich aber auch der nachmalige Instrumentenbauer Alois Gentner befunden haben dürfte.

Dieser besuchte die Schule von St. Emmeram in Regensburg, die er ohne Abschluss verließ, um sich zunächst auf Wanderschaft zu begeben und anschließend als freiwilliger Musiker in das 3. Königlich Bayerische Chevauxleger-Regiment Herzog Max in Bayern nach Dillingen einzutreten. Er beherrschte nahezu alle Orchesterinstrumente zufriedenstellend. Mit der Absicht seiner Heirat nahm Gentner 1855 den Abschied vom Militär. Im Jahr darauf vermählte er sich mit der Hutmacherstochter Walburga Weilhammer aus Dillingen an der Donau. Mit ihr bewohnte er zunächst das Dillinger Haus am Stadtberg 23 (früher Nr. 14) und ab etwa 1885 das Haus an der Kapuzinerstraße 36 (35), das seine Frau inzwischen geerbt hatte. In Dillingen wurde Gentner als Instrumentenbauer, Musikalienhändler, Komponist, Musikverleger, Pädagoge und Chorsänger aktiv.

2   Musikalienhandel und Instrumentenbau

Als Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner Einbürgerung in Dillingen erwarb Gentner im Frühjahr 1855 eine städtische Konzession zum Handel mit Musikinstrumenten und Musikalien. Nachdem er nie ein Handwerk als Instrumentenbauer erlernt hatte, eignete er sich die notwendigen Kenntnisse von Materialien und Akustik sowie die grundlegenden Techniken des Instrumentenbaus autodidaktisch an. Ab 1869 sind seine Reparaturen an Geigen nachweisbar. Nach zeitgenössischen Berichten baute er ferner zahlreiche Blechblasinstrumente; obgleich dies für einen ehemaligen Militärmusiker, Blechbläser und Instrumentenbauer an einem Garnisonsort nachvollziehbar erscheint, sind gegenwärtig nur wenige dieser Instrumente nachweisbar (Flügelhorn im Heimatmuseum Burgau, Trompete im National Music Museum Vermillion).

Abb. 1 – Reparaturzettel Gentners (1869) in einer unsignierten Violine

Gentner stieg in Dillingen zum angesehenen Bürger und Geschäftsmann auf, fand formelle Aufnahme in der Gilde der ortsansässigen Handwerksmeister, gehörte zeitweise dem Stadtrat an und leitete von 1866 bis 1869 das Dillinger Bürgermilitär. Spätestens ab den 1870er Jahren baute er Blasinstrumente mit durchschlagenden Zungen. In dieser vergleichsweise jungen Sparte des Musikinstrumentenbaus konnte er noch nicht auf eingeführte oder verbindliche Modelle zurückgreifen, sondern sah sich zu eigenen Entwicklungen veranlasst. Dass er zeitweise bis zu fünf Gehilfen als Blasinstrumentenmacher, Stimmenmacher, Tastenmacher und Polierer beschäftigte, ist ein deutliches Indiz für den gewerblichen Erfolg seiner Werkstatt bei der Herstellung und Reparatur sowie im Handel mit Instrumenten.

3   Aerophone mit Durchschlagzungen

Der Beweggrund Gentners, sich gerade mit durchschlagenden Zungen zu beschäftigen, ist nicht überliefert, jedoch gab es einen Anlass, der ihn dazu angeregt haben mag: 1871 errichtete der Füssener Orgelmacher Balthasar Pröbstl (1830-1895) als sein Opus 50 eine neue Orgel in der Dillinger Studienkirche. Sie erhielt ein als Harmonium bezeichnetes Zungenregister, das direkt in den Spieltisch eingebaut wurde. Die Zungen dafür lieferte die Firma Schiedmayer in Stuttgart. Ihr Einbau in der Dillinger Studienkirche konnte Gentner kaum entgehen, so dass er vor Ort das Material Schiedmayers und die Verarbeitungstechniken Pröbstls ausführlich studieren konnte.

In Gentners Schaffen sind verschiedene Entwicklungsstränge erkennbar, in denen sich der Instrumentenbauer der Akustik und spielpraktischen Verwendung der Durchschlagzungen näherte: In der Stimmpfeife und dem Akkordangeber verwertete Gentner die nur den Durchschlagzungen eigene Frequenzstabilität. Die Blasinstrumente in Flöten- oder Trompetenform verweisen auf die Nähe des Herstellers zur Militärmusik. Die Instrumente mit klaviaturartiger Disposition folgen den Vorbildern von Harmonium und Konzertina. Sie waren für die elementare Musikerziehung und den Gebrauch in der bürgerlichen Hausmusik bestimmt. Gerade diese Instrumente vermitteln den Eindruck einer noch nicht abgeschlossenen und ausgereiften Entwicklung. Damit gehörte Gentner jedoch schon im ausgehenden 19. Jahrhundert zu den Vordenkern des Akkordeons, dessen entscheidende Entwicklung allerdings erst in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gelang – also nach Gentners Tod.

4   Kundenkreise und Absatzmärkte

Instrumente und Tonangeber Gentners waren vorrangig für das bürgerliche Musikleben des späten 19. Jahrhunderts konzipiert. Hier fand das laienhafte Musizieren in geselligen und musikalischen Vereinen, in der Schule, der Kirche und im häuslichen Umfeld der elementaren Instrumentalspiel und der Hausmusik statt. Gentners lokale Kunden sind in den Dillinger Einheiten der bayerischen Armee, dem bischöflichen Priesterseminar und den nahegelegenen Lehrerbildungsanstalten (Dillingen und Lauingen), in den zahlreichen Blaskapellen und Männerchören zu suchen. Überregional belieferte Gentner Musikalienhandlungen wie z. B. das Musikhaus Hug in Zürich.

Die Versorgung der Dillinger und der überregionalen Kunden mit Instrumenten und Musikalien verblieb dem Betrieb Gentners auch nach dessen Tod am 23. Oktober 1900. Seine Werkstatteinrichtung erwarb der Mitarbeiter August Heber, der aus dem vogtländischen Markneukirchen stammte. Der sächsische Blasinstrumentenmacher ist von 1887 bis 1914 auch als selbständiger Hersteller in Dillingen nachweisbar, zunächst im Jakobstal 1, später in der Kapuzinerstraße. Heber produzierte weiterhin die Stimmpfeifen seines Vorgängers, obwohl diese bereits zu Lebzeiten Gentners von Markneukirchner Firmen kopiert worden waren. 1914 folgte ihm der Dillinger Karl Seybold (1889-1956) nach, der die Gentnerschen Stimmpfeifen bis noch 1928 in seiner Blechblasinstrumentenfabrik herstellte.

5   Der Nachlass Gentners

Im Nachlass Gentners blieb eine bemerkenswerte Sammlung von Musikinstrumenten mit durchschlagenden Zungen erhalten, die über den Dillinger Buchbindermeister Julius Wengert 1951 zum Historischen Verein der Stadt gelangte und heute im Stadt- und Hochstiftsmuseum in Dillingen verwahrt wird. Diese Schenkung wurde später durch eine weitere des Bischöflichen Knabenseminars in Dillingen ergänzt.

Die insgesamt acht im Dillinger Museum erhaltenen Instrumente bzw. Stimmwerkzeuge Gentners sind ohne Ausnahme balglose Blasharmonikas, die mit der Atemluft in nur einer Spielwindrichtung angeblasen werden. Sie verfügen jeweils über ein einziges Register durchschlagender Zungen. Die unterschiedlichen Dispositionen des verfügbaren Tonvorrats lassen den Charakter des Experiments und der Entwicklung der Instrumente hervortreten. Lediglich die Stimmwerkzeuge Stimmpfeife und Akkordangeber erscheinen ausgereift und wurden serienmäßig produziert. Alle Objekte sind unsigniert und nicht datiert. Welche Instrumentenmacher der Werkstatt Gentners jeweils an ihrer Herstellung beteiligt waren, ist gegenwärtig unbekannt.

Stimmpfeife: Gesamtlänge 36 mm, Durchmesser 10 mm, Stimmton a2 = 870 Hz, Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen a. d. Donau, N 1269

Abb. 2 – Die Patentschrift des Accord-Angebers mit Beschreibung, Herstellung und Funktionsweise
(Kaiserliches Patentamt: Patentschrift 4874 von Alois Gentner, Berlin 1878, Fig. 1)

Akkordangeber: Neusilber und Messing, Gesamtlänge 55 mm, Durchmesser 15,5-16 mm, Stimmton a2 = 870 Hz, Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen a. d. Donau, N 1266. Der Akkordangeber Gentners wurde in Dillingen etwa ein halbes Jahrhundert lang in mehreren Produktionsphasen und mindestens drei Baureihen hergestellt: zunächst während der Entwicklung (bis 1878), dann vom Zeitpunkt der Patentanmeldung (am 17. September 1878) bzw. deren Bekanntmachung (am 29. April 1879) bis zum Verkauf des Patents an das Züricher Musik- und Verlagshaus Hug & Co., schließlich nach der Kündigung des Patent-Übernahmevertrages durch Hug & Co. (noch zu Lebzeiten Gentners, also vor 1900) bis zur Einstellung der Produktion durch den zweiten Betriebsnachfolger Karl Seybold 1928.

Abb. 3 – Dreifaches Blase=Melodion (Inv.-Nr. N 1257), Einfaches Tasten=Matallophon (Inv.-Nr. N 1268) und Akkordangeber (Inv.-Nr. N 1266)

Blasharmonika mit einer Röhre, Tasten=Metallophon oder Blase=Melodion: Neusilber und Messing, Gesamtlänge 260 mm, Durchmesser 13 mm, Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen a. d. Donau, N 1268. Zur Einführung in das Spiel und das Repertoire dieses Instruments verfasste Gentner eine Spielanweisung mit leichten Spielstücken Anleitung zum Spielen der Tasten=Metallophons (gedruckt bei L. Auer in Donauwörth).

Abb. 4 – Einführung aus der Anleitung zum Spielen der Blase=Melodions (Inv.-Nr. N 1257). Das Schulwerk enthält auch den Hinweis auf weitere Notenausgaben Gentners: Musikalien zu jeder Gattung der Blase=Melodions sind zu billigem Preise mit oder ohne Guitarre=Begleitung zu beziehen.

Blasharmonika mit 3 Doppelröhren, Tasten=Metallophon oder Blase=Melodion: Neusilber und Messing, Gesamtlänge 270 mm, Länge der Einzelrohre: 185 mm (I), 227 mm (II), 191 mm (III), 128 mm (Anblasrohr), Durchmesser 13 mm, Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen a. d. Donau, N 1257. Auch dafür verfasste der Hersteller ein Lehrwerk Anleitung zum Spielen der Blase=Melodions (gedruckt bei L. Auer in Donauwörth).

Blasharmonika in Trompetenform, Symphonietrompete: Messing, Gesamtlänge 395 mm, maximale Breite ca. 120 mm, fragmentarisch erhalten, Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen a. d. Donau, N 1256

Abb. 5 – Blasharmonika in Klaviaturform (Inv.-Nr. N 1255)

Blasharmonika in Klaviaturform: Ahorn, Metalle (Eisen, Messing, Neusilber), 540 x 95 x 70 mm (Breite x Tiefe x Höhe), 37 Tasten in Klaviaturanordnung, Umfang: c-c3 mit 22 weißen und 15 schwarzen Tasten, Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen a. d. Donau, N 1255

Blasharmonika in Klaviaturform: Ahorn, Eisen, Messing, Neusilber, 490 x 95 x 60 mm, 32 Tasten in Klaviaturanordnung, Umfang: f-c3 mit 19 weißen und 13 schwarzen Tasten, Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen a. d. Donau, N 1272. Die Blasharmonika stellt ein minimalistisches Harmonium dar; sie besitzt ein rechteckiges Gehäuse mit vier Perlenfüßchen, das beim Spiel auf einem Tisch ruht. Auf seiner Oberseite sind Tasten klaviaturmäßig angeordnet. Das Oktavmaß beträgt ca. 160 mm, also beinahe die im Klavierbau übliche Spannweite.

Abb. 6 – Blasharmonika in Schatullenform (Inv.-Nr. N 1265)

Blasharmonika in Schatullenform: Ahorn, Metalle (Eisen, Neusilber, Messing), Gummi, 268 x 211 x 95 mm (Breite x Tiefe x Höhe), Länge des Anblasrohrs 280 mm, Umfang: c-c3, Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen a. d. Donau, N 1265. Die Verteilung des Tonvorrats der Blasharmonika lässt zwei vorbildhafte Modelle erkennen: die Klaviatur von Orgel und Harmonium mit weißen Unter- und schwarzen Obertasten, jedoch mit Tasten in Knopfform und ihrer Disposition in übereinanderliegenden Reihen dem Muster der Wiener Harmonika bzw. Konzertina. Gentners Instrument ist erkennbar nur mit der rechten Hand zu spielen.

6   Forschung und Rezeption

Gentner fand bereits zu Lebzeiten Beachtung in der lokalen Berichterstattung. Als örtlichem Amts- und Würdenträger sowie als Inhaber eines Deutschen Reichspatents wurde er in Ortschroniken (Weiß 2/1880, 3/1886, Keller 1934, Baumann 1993) mehrfach geehrt. Ferner erhielt er in der maßgeblichen Regionalzeitung seiner Zeit, dem Donauboten, am 29. Oktober 1900 einen Nachruf.

In der instrumentenkundlichen Literatur fand der vielseitige Instrumentenbauer dagegen bislang nur marginale Würdigung. Der Lexikograph des Geigenbaus, Willibald Freiherr von Lütgendorff, erwähnte 1904 einen Geigen-Reparaturzettel Gentners von 1891, allerdings mit der irrtümlichen Namensangabe J. Gentner. In mehreren Beiträgen beschäftigte sich 1950, 1978 und 1984 der Dillinger Polyhistor Adolf Layer mit dem Instrumentenbauer seiner eigenen Heimatstadt. Schließlich widmete der Blasinstrumentenforscher William Waterhouse 1993 Gentner als dem Erfinder einer Harmoniumflöte einen kurzen Eintrag im New Langwill Index. Auch die Monographie Blasinstrumentenbau im 19. Jahrhundert in Südbayern von Erich Tremmel aus demselben Erscheinungsjahr erwähnt Gentner als Instrumentenbauer. Ein Beitrag des Verfassers beschreibt Die Zungeninstrumente von Alois Gentner im Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen an der Donau (Drucklegung i.V., siehe Lit.-Verz.).

7   Literatur

Baumann, Karl: Alt-Dillinger Handwerk. Ein Beitrag zur Geschichte einer verlorenen Welt, Dillingen 1993.
Bigelmair, Andreas: Verwaltungsbericht der Vorstandschaft und des Ausschusses. In: Jb. des Historischen Vereins von Dillingen 53, 1951, 117f.
Brusniak, Friedhelm: Anfänge des Laienchorwesens in Bayerisch-Schwaben. Musik- und sozialgeschichtliche Studien, unveröff. Habil.-Schr. der Univ. Augsburg 1997.
Fischer, Hermann/Wohnhaas, Theodor: Historische Orgeln in Schwaben. München, Zürich 1982.
Focht, Josef: Die Zungeninstrumente von Alois Gentner im Stadt- und Hochstiftsmuseum Dillingen an der Donau. In: Berdux, Silke/Edelmann, Bernd (Hgg.): Fs. für Jürgen Eppelsheim zum 70. Geburtstag. Seit 2000 i.V.
Keller, Joseph: Durch vierhundert Jahre Dillinger Geschichte. Dillingen 1934, Bd. 1.
Layer, Adolf: Ein wenig bekannter Erfinder. In: Nordschwäbische Chronik 3/10 1950, 154f.
Layer, Adolf: Wallersteiner Musikinstrumentenmacher. In: Nordschwaben 6, 1978, 13f.
Layer, Adolf: Alois Gentner (1825-1900). Er erfand die Dillinger Stimmpfeifen, in: Jb. des Historischen Vereins von Dillingen 86, 1984, 172-175.
Lütgendorff, Willibald Leo Freiherr von: Die Geigen- und Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Frankfurt/Main 1/1904) Frankfurt/Main und Berlin 6/1922, Bd. 2.
Reichling, Alfred (Hg.): Balthasar Pröbstl – Haus-Chronik. Kassel 1998, 98 (= 64. Veröffentlichung der Gesellschaft der Orgelfreunde als Jahresgabe 1995).
Tremmel, Erich: Blasinstrumentenbau im 19. Jahrhundert in Südbayern. Augsburg 1993, 259 (= Collectanea Musicologica 3).
Waterhouse, William: The New Langwill Index. A Dictionary of Musical Wind-Instrument Makers and Inventors. London 1993.
Weiß, Wilhelm: Chronik der Stadt Dillingen. Dillingen 2/1880, 3/1886.