Lipowsky 1811

Raff, (Anton): Raff, (Anton), Deutschlands und Italiens erster Tenorsänger, um die Mitte des 18ten Jahrhunderts, wurde 1714 zu Gelsdorf, im Herzogthume Jülich, geboren, war ein Schüler des berühmten Bernacchi, brachte den schönsten Theil seines Lebens in Italien zu, machte Reisen durch ganz Deutschland, Frankreich, Spanien und Portugal, und war anfangs Hofsänger beim Churfürsten Clemens August von Cöln, der ihn 1736 mit sich zu seinen Bruder den Churfürsten von Baiern Carl Albrecht nahm, dann aber beim Churfürsten von der Pfalz Carl Theodor, in dessen Dienste er im August 1770 mit einem jährlichen Gehalte von 1500 Gulden gekommen ist. Wo er an einem Hofe hinkam, ward sein schöner Gesang bewundert, und jedermann entzücket. Den großen Sänger Raff singen zu hören, bestrebte sich jeder Künstler, und Mächtige dieser Erde beeiferten sich ihn zu erhalten; aber Raff blieb seinem Churfürsten getreu, und verkaufte nicht seine Person um Geld. Die Achtung für diesen Künstler war so, wie sein Ruf, allgemein, und wo er bei einem Fürsten erschien, erwies man ihm alle Artigkeit, beschenkte ihn königlich, verehrte ihm goldene Ehrenketten, und zeichnete ihn überall als den ersten Sänger aus. Pabst Pius VI. schätzte vorzüglich diesen Künstler, und ernannte ihn zum Ritter des goldenen Sporns. Was die Macht seiner Töne, seines Gesanges vermochte, beurkundet folgende Thatsache. Die Prinzessinn Belmonte Pignatelli verlor in ihrer Jugend einen Gatten, den sie anbetete, und versank in ein fühlloses Hinbrüten, das ihr den Tod drohete. Keine Klage konnte sie stöhnen, keine Thräne hervordrängen. Seit einem Monate befand sie sich unverändert in der nämlichen furchtbaren Lage. Gegen Sonnenuntergang trug man die Kranke in ihre Gärten; doch nicht der Anblick des reinen Aethers, nicht aller mit den Reitzen der Natur vereinter Zauber der Kunst, selbst nicht der ruhende, stille, bewegende Mondschein konnte die sanften Erschütterungen hervor bringen, die dem Schmerz ein Beet graben, in das er sich ergiessen, und dadurch das herbe und schneidende mildern mag. Damals -- es war das Jahr 1778 -- durchzog der berühmte Tenorist Raff Neapel; er wünschte die berühmten Zaubergärten der Prinzessinn zu sehen. Er erhielt die Erlaubniß, doch empfahl man ihm, sich nicht dem Bosket zu nahen, in dem sich die Prinzessinn befand. Eine ihrer Kammerfrauen wußte, daß Raff im Garten war; sie schlug der Prinzessinn vor, nicht ihn zu hören, aber ihn zu sehen, und ihm zu erlauben ihr aufzuwarten. Raff nahete sich; er war unterrichtet. Nach einigen Momenten des Schweigens bat die nämliche Kammerfrau die Prinzessinn um die Erlaubniß, daß ein so berühmter Sänger, der nie die Ehre gehabt habe, vor ihr zu singen, mindestens seine Stimme vor ihr hören lasse, mit einigen Strophen von Rolli und Metastasio. Keine bestimmte Weigerung erfolgte; Raff entfernte sich also etwas, und sang mit rührender Stimme das erste Couplet von Rolli, welches also beginnt: Solitario bosco umbroso etc. Seine Stimme war damals noch in ihrer Kraftfülle -- eine der schönsten und rührendsten; die Melodie einfach -- die Worte dem Orte, den Umständen vollkommen angemessen. Alles dieses wirkte so mächtig auf die Organe, welche die düstere Verzweiflung so lange unaufgeregt gelassen hatte, daß die Thränen sich endlich Luft machten, und strömten. Sie flossen einige Tage unaufhaltsam, und diese wohlthätige Erschütterung rettete die Kranke vom unfehlbaren Tode. Um seinen guten moralischen Charakter und sein edles Herz kennen zu lernen, seye es erlaubt, hier einige Züge aus seinem Privatleben anzuführen. Als er um 1740 seinen Geburtsort besuchte, und ihm erzählt wurde, daß ein junges Mädchen aus Armuth gehindert wäre, ihrer Neigung gemäß, in ein Kloster zu gehen, gab er in Düsseldorf zu ihrem Beßten ein Konzert, dessen Einnahme mehr am Gelde betrug, als sie zur Aufnahme in das Nonnenkloster nöthig hatte. Eben so schön, und in jeder Rücksicht noch nützlicher, handelte er in der Rheinpfalz. In Bretten war ein armer Bürger mit seinem Weibe und drei noch kleinen Kindern dergestalt verschuldet, daß es schon an dem ware, daß seine Gläubiger sein ganzes Vermögen an sich zogen, das ihnen die Gerichte in Ermanglung anderer Zahlungsmitteln zuerkannten. Die Familie war in Verzweiflung, ohne Obdach, ohne Hilfe. Raff reiste eben durch diesen Ort, und hörte in der Schenke, wo er sich einige Zeit verweilte, von dem harten Schicksale dieser braven Leute. Er erkundigte sich: ob sie durch Unhäuslichkeit in diese mißliche Lage gekommen wären? und als man ihm versicherte, daß sie durch Unglücksfälle, und durch zu harte Uebernahme des Häuschens und des Gewerbes in diese traurige Lage gestürzet worden, gieng er zu Gericht, und erlegte dort baar 800 Gulden, um die Familie zu retten. Als dieses der arme Bürger erfuhr, begab er sich mit seinem Weibe und Kindern in die Schenke, und wollte seinem Wohlthäter danken; allein Raff war schon fortgefahren, ihn lohnte süßer das Bewußtseyn einer guten That. Raff sang noch in alten Tagen mit Gefühl und einer entzückenden Anmuth (1), doch nicht um Lohn, und obgleich ihm der Churfürst ein ruhiges Alter gewähret, und ihm eine ansehnliche Pension bewilliget hatte, auch er selbst ein Mann war, der sich ein bedeutendes Vermögen erworben und erspart hatte; so war er doch dadurch noch nützlich für die Kunst, daß er unentgeldlich noch manchen Zögling bildete. Raff war ein solider guter Mann, ernsthaft, und im Umgange trocken, redlich gegen jedermann, und Freund dem Freunde. Er starb zu München, wohin er mit dem pfälzischen Hofe gekommen, den 28. Mai 1797. Seine Grabschrift ist: Dem grossen Sänger Raff. Hierauf folgt eine lateinische Innschrift folgenden Innhaltes: Antonius Raff Gelsdorfensis in Ditione Juliacensi musices cultor experientissimus. Religionem integritate morum, inocentia, suauitate suffultam immotam ab iuventute ad defexam aetatem, ubi, ubi fuit, per Germaniam, Italiam, Gallias, Hispanias circumtulit, protulit, propogavit et Caroli Theodori S. R. J Electoris Palat-Bavariae favore, gratia, nutu Musicis aulae inscriptus. Stipendus munisicentissimi Principis reliquam vitam tranquille aequanimiter exegit senio minus, quam triduana ischuria. Lacrumis amicorum, lacrumis egentium exceptus coelebs decessit V. Kal. Jun. 1797. Vixit annos 83. mens, dies 27. Heic quiescit veteris amicitiae et triennalis contupernii monumentum. Könnte Kunst in Tönen, so wie in Farben und Marmor ausgedrückt, erhalten, und auf die Nachwelt gebracht werden, so würde gewiß Raff's Ruhm nie vergehen! Doch verhallt ist nun seine Zauberstimme, und kein leiser Laut ist von ihm mehr übrig. Allgem. musikal. Zeit. (Leipz. 1810.) St. LIV. S. 858. und St. LV. S. 874. Anm. 1: Seine letzte Oper, in der er zu München auftrat und sang, war Idomeneo, mit Musik von Mozart.