Lütgendorff 2/1913

Tieffenbrucker, Caspar: Tieffenbrucker, Caspar. – Lyon. Geb. 1514 in "Pruck", + 16. Dezember (?) 1570 oder 1571 in Lyon Besser bekannt in der verwelschten Form seines Namens als Gaspard Duiffoprugcar. Er stammte nach der Angabe eines Verzeichnisses der Füssener Bürgeraufnahmen 1) aus "Pruck", worunter man wohl am besten Tiefenbruck bei Roßhaupten versteht. Er erlangte durch die Verheiratung mit einer Bürgerstochter am 22. April 1544 das Bürgerrecht in Füssen. In seinen Wanderjahren mag er schon weit umhergekommen sein, da wurde es ihm in der Heimat zu eng und er zog wieder hinaus in die Fremde und kehrte nach Lyon zurück, wo er schon im Jahre 1533 nachweisbar ist. Ob er seine junge Frau mit genommen hat, oder ob ihr Tod den Anlaß zu seiner Auswanderung gab, läßt sich nicht feststellen. Daß er zuerst in Bologna ansässig war, wird zwar mehrfach behauptet, beruht aber jedenfalls auf einer Verwechslung mit Wendelin T. – Urkundlich nachweisbar ist er später nur in Lyon, und gleich auf dem ältesten Schriftstück vom 23. November 1553, in dem er vorkommt, wird er als Deutscher bezeichnet. Seinen Namen schreibt er da: "Duiffobrocard"; eine andere Urkunde (vom 4. November 1555) unterzeichnet er "Gaspard Duiffoprougar". Von seinem Leben ist wenig bekannt. Seine Heimat und das Geburtsjahr 1514 erfährt man aus einem Dekret Heinrichs II. vom Januar 1558, durch welches Caspar zum französischen Bürger aufgenommen wird. Das Geburtsjahr bestätigt auch Pierre Woeriots Porträt des Meisters, das ihn im Alter von 48 Jahren zeigt. Das wenige, was über ihn festzustellen war, verdankt man dem trefflichen Dr. Henry Coutagne (+ 1896), der in seiner interessanten Schrift (Paris 1893) die Ergebnisse seiner Forschungen mitteilt und dadurch alle früher von J. B. B. Roquefort-Flamericourt, Fetis u. a. aufgestellten Behauptungen zu Fall brachte. Auf welchem Umweg Caspar Tieffenbrucker nach Lyon gekommen ist, ließ sich bisher noch nicht ermitteln. Im Jahre 1533 wohnte er dort in der Nähe der Franziskanerkirche. Er scheint sehr fleißig und sparsam gewesen zu sein und kam zu einigem Vermögen, so daß er im Jahre 1556 einen Weinberg "a la cote Saint Sebastian" kaufen konnte, auf dem er sich ein Wohnhaus mit Hof und Garten erbaute. Acht Jahre lebte er da mit den Seinen in Ruhe und Frieden, da wurde aber die Errichtung einer Zitadelle beschlossen, und da nach ihrer Vollendung Tieffenbruckers Haus im Festungsgraben lag, verfiel es der Expropriation. Der Wert des Besitztums wurde auf 9245 Lires 14 Sols und 4 Deniers festgesetzt, und Tieffenbrucker mußte ausziehen. Vergeblich hoffte er, die versprochene Entschädigungssumme zu erhalten; er geriet in Not und starb schließlich in bitterster Armut und hinterließ seine Frau Barbe; geb Homeau, und seine Kinder in größtem Elend. Auch die Witwe konnte die Auszahlung des Geldes für ihr Haus nicht durchsetzen und mußte schließlich froh sein, wenigstens eine lebenslängliche, kleine Rente zu erhalten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß C. Tieffenbrucker ein sehr angesehener Meister war. Die ihm mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschriebenen Arbeiten zeichnen sich vornehmlich durch ihre reiche Verzierung aus, und es ist nicht gut einzusehen, warum man gerade ihn zum Erfinder der heutigen Violine "machen" wollte. Man kann nur annehmen, daß er verschiedene Lyren gemacht hat, und die Öhnlichkeit der Lyra mit der Violine hat dazu geführt, die Meinung aufkommen zu lassen, er habe auch die ersten Violinen hergestellt. Man kennt auch tatsächlich sechs Violinen, die als seine Arbeit galten, aber alle sechs haben sich als Fälschungen neueren Datums erwiesen und sind wahrscheinlich in ihrer Art geniale Machwerke, z. B. Vuillaumes 2). Als Fälschungen erweisen sie sich auch durch ihre Zettel mit Jahreszahlen, die lange vor der Geburt Caspars liegen oder Bologna als Wohnsitz angeben. In Italien hat Caspar schwerlich gearbeitet; mehrWahrscheinlichkeit hat die Vermutung Jacquots, daß er sich um 1560 am Hofe des Herzogs Carl III. von Lothringen in Nancy aufgehalten habe. Es wird sogar behauptet, daß Caspar T. ursprünglich Mosaikarbeiter gewesen sei; ob dies der Fall ist, fällt nicht ins Gewicht; die übrigen Erzählungen aber, die davon berichten, daß er für König Franz I. gearbeitet habe usw., erweisen sich schon durch das Geburtsdatum Tieffenbruckers als falsch. Den Geburtsort liest Coutagne in der Bürgerrechtsurkunde "Fressin ville imperiale en Allemagne" und meint, damit könne nur Freising bei München gemeint sein. Offenbar liegt hier ein Lesefehler vor, in der Urkunde muß Fuessin stehen. In Füssen war die Familie Tieffenbrucker von alters her ansässig, und noch heute leben mehrere Tieffenbrugger in der Füssener Gegend. Bemerkenswert ist auch, daß der gleichzeitig in Lyon ansässige Johann Helmer ebenfalls einer Füssener Familie angehört haben dürfte. Sichere Arbeiten von ihm sind kaum bekannt, wenigstens haben sich bisher die meisten seinen Zettel tragenden Instrumente als Fälschungen, oder als Werke anderer Meister erwiesen. Echt ist vielleicht eine Viola da Gamba von 1550 in der Sammlung Donaldson. Ein reich eingelegtes Instrument mit seinem Namen befindet sich in der Sammlung des Abtes Sales Bauer in Rein (Steiermark) usw. Geigenzettel: Gaspard Duiffopruggar a la coste Saint Sebastien à Lyon (?) (gedruckt) und Abb. 793. 1) Handschrift in der fürstl. Öttingenschen Bibliothek in Maihingen. Sign. I. 3. Fol. 12. 2) Vuillaume machte schon 1827 nach einer Gamba von Caspar eine derartige Violine.